Wenig(er) Freiräume für feministische Kämpfe

Frieda und viele von Friedas Partnerorganisationen erleben aktuell einen Genderbacklash und Angriffe auf ihre Arbeit. Dieses Phänomen machte sich bereits während der Pandemie bemerkbar, hat sich aber weiter verschärft. Wie äussern sich diese Angriffe in der konkreten Arbeit und im Projektumfeld? Wie können sie eingeordnet werden?
Frau mit Mikrofon spricht zum Publikum auf einem Kiesplatz zwischen Häusern, links im Bild zwei spielende Kinder. Mit öffentlichen Veranstaltungen sensibilisieren lokale Frauengruppen palästinensische Gemeinschaften für Frauenrechte. ( Bild oben ). Foto: Kayan

Dass geschlechtsspezifische Gewalt eng mit dem Militarisierungsgrad einer Gesellschaft zusammenhängt, ist eine Realität, mit der die Frieda-Partnerorganisationen in Israel und Palästina täglich konfrontiert sind. Die palästinensische Bevölkerung leidet unter der zunehmenden staatlichen Gewalt der israelischen Besatzungspolitik, sowie den steigenden Angriffen durch radikale Siedler*innen. Nebst der grundsätzlich stark patriarchal geprägten Gesellschaft, wiegt die Allgegenwärtigkeit der militarisierten Gewalt schwer innerhalb der Familiendynamiken und wirkt sich auch verstärkend auf geschlechtsspezifische Gewalt aus. Die Erstarkung von rechten israelischen Parteien geht zudem mit einem stark schrumpfenden zivilgesellschaftlichen Raum für alle palästinensische Organisationen einher, die sich für die Einhaltung der Grundrechte der palästinensischen Bevölkerung einsetzen. 2021 haben die israelischen Behörden sechs renommierte NGOs in der Westbank mit fadenscheinigen Argumenten diffamiert und geschlossen, darunter eine Frauenrechtsorganisation.

Eine Gruppe von Frauen und Mädchen steht in einer Reihe vor einem großen Gebäude mit Backsteinfassade. Einige tragen weiße Masken, die symbolisch für Stille oder Unsichtbarkeit stehen könnten, während andere normale Kleidung tragen. Einige der Teilnehmerinnen halten Schilder mit arabischen Schriftzügen und Symbolen, die auf Gewalt oder Frieden hinweisen. Die Frau vorne links trägt einen lilafarbenen Hijab und hält ein Bild mit einem Baum und roten Handabdrücken. Die Atmosphäre wirkt ruhig, aber entschlossen, da die Frauen offensichtlich für eine friedliche Sache eintreten.
Die Teilnehmerinnen des Frieda-Projekts «Kifaya – Es reicht!» setzten ein Zeichen gegen Gewalt. Foto: Kayan

Druck auf Frauenrechte durch Nationalisten

Eine palästinensische Frieda-Partnerorganisation in Israel sah durch (politisch motivierte) bürokratische Hürden ihre Arbeitslizenz gefährdet und ihre Menschenrechtsarbeit behindert. Zudem befördert der israelische Rechtsrutsch den steigenden Einfluss von salafistischen Bewegungen in Palästina. Gruppierungen aus diesen Kreisen haben Frauenrechtsorganisationen, darunter auch Frieda-Partnerorganisationen, mit einer aggressiven Delegitimierung-Kampagne angegriffen. Der Vorwurf lautete, die Organisationen würden mit dem Engagement für die lokale Verankerung des Übereinkommens der Vereinten Nationen (VN) zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ein Rechtsinstrument des globalen Nordens fördern und Werte der palästinensischen Gemeinschaft angreifen. Dass CEDAW gleichermassen von Feminist*innen und sozialen Bewegungen aus dem globalen Süden erkämpft wurde und diese auch heute oftmals eine Vorreiter*innen-Rolle in antipatriarchalen Aufständen einnehmen, wird im Diskurs der Angreifer unterschlagen.

In Bosnien-Herzegowina beobachten feministische Organisationen zunehmende politische Spannungen, die vor allem durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die offene serbische Unterstützung Russlands noch verstärkt werden. Politische Führer der Republika Srpska drohen vermehrt mit einer Abspaltung von Bosnien-Herzegowina und versuchen, in der Bevölkerung den serbischen Nationalismus zu befeuern. In den Augen dieser nationalistischen Kräfte sind feministische Forderungen anti-nationalistisch, anti-patriotisch und anti-traditionell. Sie werden als Untergrabung der «Einheit ethnischer Gruppen» und als Destabilisierung der Gesellschaft angesehen, da sie sowohl Mythen aus (vergangenen) Kriegen als auch gängige patriarchalische Vorstellungen von Männlichkeit in Frage stellen. So berichtet eine bosnische Frieda-Partnerorganisation, welche sich für die Stärkung von LGBTIQ-Rechten engagiert, dass die Auswirkungen dieses seit 30 Jahren erstarkenden Narrativs im letzten März einen neuen Höhepunkt erreichte. So verbot die Polizei in Banja Luka, der Hauptstadt der Republik Srpska, kurzfristig eine Demonstration von queeren Aktivist*innen. Als diese am Vorabend der abgesagten Veranstaltung ihre Lokalitäten verliessen, wurden sie von einer Männergruppe abgefangen, verfolgt und gewalttätig attackiert. Auch stellen die Vertreter*innen einer weiteren bosnischen Frieda-Partnerorganisation fest, dass Projektteilnehmer*innen in ländlichen Gebieten beschimpft, verfolgt oder bespuckt wurden, wenn sie nicht der dominierenden politischen Partei angehörten.

Politischer Gegenwind für Gleichstellung in der Schweiz

In der Schweiz erkämpften feministische und Frauenrechtsorganisationen auf gesetzlicher Ebene mehr Opferschutz in der längst fälligen Revision des Sexualstrafrechts. Dennoch stellen wir beispielsweise im Frieda-Projekt zur Förderung der ökonomischen Teilhabe von migrantisierten Frauen Rückschritte in Gleichstellungsanliegen fest. Die bereits schwierige Situation der Projektteilnehmerinnen verschlechterte sich einerseits durch die Änderungen im Ausländer- und Integrationsgesetz und andererseits wegen den sozialen sowie ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die Zahl der Frauen, die aufgrund häuslicher Gewalt Unterstützung bei der Projektleitung ersuchten, stieg an. Rassifizierte Projektteilnehmerinnen berichteten vermehrt von Diskriminierungen im privaten und öffentlichen Raum. Beispielsweise entschied en Sozialdienst, nur dem Ehemann einer Projektteilnehmerin einen Deutschkurs zu finanzieren, mit der Begründung, als «traditioneller Versorger» müsse er den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Trotz des Fachkräftemangels verhinderten strukturelle Barrieren den Berufseinstieg vieler Projektteilnehmerinnen. Das verschärfte ihre sozioökonomische Prekarität weiter und hatte für viele dramatische Konsequenzen – von Zurückstufung des Aufenthaltsrechts bis hin zum Landesverweis. Auch im öffentlichen Diskurs ist Gleichstellungsarbeit einem starken politischen Gegenwind ausgesetzt. Während nach dem Streik vom 14. Juni 2019 feministische Kollektive und Frauenrechtsorganisationen den gesellschaftlichen Diskurs mitprägten, dominieren heute eher konservative und rechte Kräfte. Sie bezeichnen antirassistischen Aktivismus als «Woke-Wahnsinn», den Kampf gegen die Erderwärmung als «Klimahysterie» und (queer-)feministische Anliegen als «Gender-Terror». Damit verzerren sie gesellschaftliche Gewaltverhältnisse und kehren sie in ihrer Darstellung um. Nicht zuletzt nehmen wir seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine auch in der Schweiz ein erstarkendes militarisiertes und vor allem nationalstaatliches Verständnis von Frieden und Sicherheit wahr.

Allianzen für feministische Forderungen

In allen beschriebenen Frieda-Programmkontexten scheinen konservative und rechte Kräfte an politischer Macht zu gewinnen. Feministische Bestrebungen erfahren sowohl direkten Widerstand als auch eine Art Statusverlust zugunsten anderer, vermeintlich wichtigerer Probleme. Unter den betroffenen feministischen und Frauenrechtsorganisationen herrscht zwar grossenteils Einigkeit darüber, dass es Allianzen und kollektive Strategien braucht, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, jedoch nicht immer über die Frage, wie diese genau aussehen sollen. Um Widerstandsstrategien kollektiv und nachhaltig auszuhandeln, braucht es jedoch Ressourcen - und diese bleiben aufgrund struktureller und kultureller Gewalt weltweit ungleich verteilt.

Ostermarsch

13:15 Uhr
Besammlung
ostermarsch_kirchenfeldbrucke-(2).jpg
Gegen nukleare und militärische Aufrüstung. Für echte Sicherheit.
> Detailinfos zum Anlass
×