Unternehmerin mit Leib und Seele

Wenn Rawan Fayyad erzählt, sprudelt sie vor Leidenschaft und Energie. Eine kluge Frau mit klaren Zielen, die genau weiss, wohin sie will. Allen widrigen Umständen zum Trotz geht die junge Imkerin in Tulkarem, Westbank, beharrlich ihren Weg.
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Rawan Fayyad startete 2020 mit 10 Bienenvölkern. Inzwischen hat sie 50 Bienenvölker  – in einem Volk leben je nach Jahreszeit 10'000 bis 40'000 Bienen – und produziert ihren Honig nicht mehr bei sich zuhause, sondern in einem eigenen Produktionsraum.

Nach ihrem Informatik-Studium absolvierte sie eine Ausbildung als Unternehmerin. Als ihr die Idee mit den Bienen kam, war ihr klar, dass ein Imkerei-Geschäft nur mit gutem Marketing funktionieren kann. Honig ist ein traditionelles Produkt, das in Palästina von vielen, fast ausschliesslich männlichen, Imkern angeboten wird. So meldete sie sich für das Frieda-Projekt Makenni – Eigenständig an, das von der Frieda-Partnerorganisation Partners for Sustainable Development PSD umgesetzt wird. In den rund 70 Trainingsstunden im Projekt eignete sie sich Wissen und Kompetenzen in digitalem Marketing, grafischer Gestaltung und im Aufbau eines Kleinunternehmens an. Sie erarbeitete eine Machbarkeitsstudie und einen Businessplan für ihre Imkerei. Ein kleiner Förderbeitrag ermöglichte ihr, ihre Geschäftsidee weiterzuentwickeln. Sie hat sich mit dem Geld ihren ersten Laptop gekauft und kann damit ihre Produkte vor allem über Social-Media anpreisen. Durch dieses digitale Marketing hat Rawan Fayyad ihre Imkerei bekannt gemacht. Die gesamte Produktion des ersten Jahres, 2020, war rasch ausverkauft.

Hohe Arbeitslosigkeit junger Frauen

Die Jugendarbeitslosigkeit in Palästina gehört zu den höchsten weltweit, sie beträgt knapp 40%, unter jungen Frauen rund 60%. Das wirtschaftliche Umfeld im palästinensischen Gebiet leidet unter der jahrzehntelangen militär­ischen Besatzung. Die Bewegungsfreiheit der Menschen und damit ihre Erwerbsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt, Frauen sind davon besonders betroffen. Auch die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen führen zu hohen strukturellen Barrieren für Frauen. Das sind wesentliche Gründe für die tiefe Erwerbsquote: Nur 18,6% der Frauen in Palästina sind erwerbstätig, obwohl viele sehr gut ausgebildet sind.

Im Projekt Makenni – Eigenständig wird die finanzielle und soziale Selbstbefähigung von jungen Frauen in der Westbank wie Rawan Fayyad gestärkt. Dank Coachings, Zugang zu Wissen und beruflichen Netzwerken schaffen junge Informatikerinnen den Berufseinstieg, sei es durch eine Anstellung, sei es durch den Aufbau eines eigenen Einzelunternehmens. Die Möglichkeit, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften, verbessert das Selbstbewusstsein der Frauen und erhöht ihre soziale Anerkennung.

Die Frieda-Partnerorganisation PSD baute ein Konsortium mit Mitgliedern aus lokalen Handelskammern, dem Arbeitsministerium, lokalen Behörden, technischen Universitäten und Frauenrechtsorganisationen auf. Dieser Zusammenschluss unterstützt das Projekt bei der Bekanntmachung und Vernetzung und hat Einsitz im Auswahlkomitee für die besten Businesspläne. Um die gesellschaftlichen Strukturen zu verändern, werden auch die Familien der Projektteilnehmerinnen eingebunden. Das ist herausfordernd, da männliche Familienmitglieder der Ausbildung teils kritisch gegenüberstehen. Die Arbeit auf struktureller Ebene gehört wesentlich zum ganzheitlichen Projektansatz.

Wissen weitergeben

Als Unternehmerin fühlt sich Rawan Fayyad in ihrem Element. Sie mag zwar Informatik und arbeitet jeden Tag am Laptop. Stundenlang hinter einem Bildschirm zu sitzen, liegt ihr aber nicht. Für ihre Imkerei trifft sie ständig neue Leute, baut Netzwerke und Beziehungen auf, dabei blüht sie auf.

Gleichzeitig arbeitet sie inzwischen selbst als Trainerin für digitales Marketing und unterstützt andere junge Frauen auf ihrem Weg. Gerne teilt sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Die Frieda-Partnerorganisation PSD hat sie zusammen mit ein paar anderen Projektteilnehmerinnen ausgewählt und zur Trainerin ausgebildet. Auch wenn sie als Trainerin nicht viel verdient, schätzt Rawan Fayyad diese Chancen, Erfahrungen zu sammeln und ihr Netzwerk zu erweitern. Ein grosses, breites Netzwerk ist für ihre Imkerei wertvoll. Es erleichtert zum Beispiel die Suche neuer Verkaufsstellen für den hochwertigen Honig. Auch ihr eigenes Wissen erweitert sie ständig. Fasziniert von der landwirtschaftlichen Arbeit, hat Rawan Fayyad ein Agronomie-Studium begonnen.

Unterstützung durch die Familie

Rawan Fayyad ist in einer grossen Familie zusammen mit sieben Schwestern und einem Bruder aufgewachsen. Aus der anfänglichen Skepsis ihres Vaters gegenüber ihrer Geschäftsidee ist inzwischen tatkräftige Unterstützung geworden. Er hilft Rawan oft mit den Bienen und bei handwerklichen Arbeiten und ist ihr eine wichtige Stütze. Auch ihr Bruder, der jüngste der acht Geschwister, arbeitet mit. Eine Schwester, die selbst Agronomin ist, hat sie beim Aufbau der Imkerei beraten und unterstützt. 

Die wichtigen Arbeitsschritte der Produktion und Verpackung gibt Rawan Fayyad jedoch nicht aus der Hand. Sie legt grossen Wert auf eine gleichbleibend hohe Qualität und auf kleine Details. Sie bietet ihren Honig in unterschiedlichen Grössen und liebevoll dekorierten Gläsern an. Beides ist neu und ungewohnt im palästinensischen Markt. Der Honig von Rawan Fayyad ragt aus dem üblichen Angebot heraus.

Schritt für Schritt weiter

Honig ist ein altes, traditionelles Produkt, das gewöhnlich in Mengen von einem oder einem halben Kilogramm verkauft wird. Die Konkurrenz ist gross, der Markt in Palästina begrenzt und eigentlich gesättigt. Eine grosse Herausforderung für eine junge Imkerin. Rawan geht mit dieser Ausgangslage kreativ und innovativ um. Sie gestaltet fantasievolle Verpackungen für verschiedene Anlässe und Altersgruppen, bietet Geschenk-Verpackungen auch in kleinen Mengen an. Und sie träumt davon, dass der Name ihrer Imkerei ‘Shahd Honig’ eines Tages als Synonym für Honig gebraucht wird.

Andererseits möchte sie auch ausserhalb des besetzten palästinensischen Gebiets verkaufen. Gute Beziehungen und ein grosses Netzwerk können da nur helfen. Schritt für Schritt nimmt sie die Hürden und entwickelt ihr Geschäfts weiter. Ein Problem sind beispielsweise die grossen Mindestbestellmengen von neuen Gläsern. Das birgt recht hohe Investitionsrisiken für sie, ohne dass sie erst ausprobieren kann, ob eine neue Verpackung bei der Kundschaft Anklang findet. Bis jetzt hat sie es gut geschafft, für alle Herausforderungen eine Lösung zu finden.

Dieses Jahr erwartet Rawan Fayyad mit ihren 50 Bienenkästen eine Verdoppelung der Produktion. Auf die Frage, ob sie von der Imkerei leben könne, meint sie lapidar: «Wenn es sich nicht rentieren würde, hätte ich es aufgegeben. Ich bin Unternehmerin.» Ihr Ziel ist denn auch, einmal eine bekannte Unternehmerin zu sein. Sie ist auf bestem Weg dahin. Verschiedene lokale Medien haben über sie und ihre Arbeit berichtet. Eine Fernsehstation hat eine schöne Reportage gebracht.

«Wege aus der Gewalt» – drei Perspektiven von Jessica Jurassica, Mia Nägeli und Ariana Qizmolli

16:00 Uhr
Salzhaus
Die Veranstaltung steht im Zeichen «Wege aus der Gewalt» und beleuchtet das Fokusthema der diesjährigen Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» aus drei Perspektiven mit Wort und Tanz mit Jessica Jurassica, Mia Nägeli und Ariana Qizmolli.
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