Demilitarisierung und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt

Synthese des Webinars vom 29. März 2023
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1.  Hintergrund

Das Webinar «Demilitarisierung und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt» fand im Rahmen des gemeinsamen Projekts «Allianz für Frauen, Frieden und Sicherheit: Die Stimmen der Zivilgesellschaft in die WPS-Agenda einbringen» statt, das von FriedensFrauen Weltweit, der Schweizerischen Plattform für Friedensförderung KOFF – swisspeace sowie Frieda – der feministischen Friedensorganisationen geleitet und umgesetzt wird. Das Projekt soll sicherstellen, dass die Erfahrungen und das Wissen der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung des 5. Nationalen Aktionsplans NAP 1325 miteinfliessen. Südafrika und die Schweiz hatten 2022 den Co-Vorsitz des Women, Peace and Security Focal Point Network inne. Um zu einem gemeinsamen Wissensaustausch beizutragen, wurde je eine zivilgesellschaftliche Expertin aus beiden Ländern im Rahmen eines Webinars zusammengebracht. Auf südafrikanischer Seite nahm die Expertin Lesley Ann Foster teil. Die Gründerin und Direktorin von Masimanyane Women's Rights International sowie erste afrikanischen Präsidentin von Amanitare ist eine Pionierin im Kampf für Frauenrechte in Südafrika. Auf schweizerischer Seite nahm die Sozialanthropologin Annemarie Sancar teil. Als Expertin für feministische Friedenspolitik war sie Programm- und Netzwerkverantwortliche bei FriedensFrauen Weltweit sowie Gender-Beauftragte bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA. Die beiden Expertinnen hielten je ein Inputreferat und traten anschliessend in einen moderierten Dialog miteinander und dem anwesenden Publikum. Das Webinar richtete sich an Vertreter*innen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA sowie an Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Aktivist*innen aus den Bereichen Gleichstellung, Friedensförderung und Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt.

 

2. Thematischer Fokus

Aus feministischer Sicht verstärkt Militarisierung das System patriarchaler Unterdrückung und ist eng mit anderen Unterdrückungssystemen wie Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus verwoben. Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt im Allgemeinen und Feminizide im Besonderen sind eng mit der Verbreitung von Waffen, dem Waffenhandel und dem Grad der Militarisierung einer Gesellschaft verbunden. In der Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit wird dieser Zusammenhang sowohl durch den Verweis auf die Aktionsplattform von Peking, die den konzeptionellen Ursprung der Agenda bildet und zu allgemeiner Abrüstung aufrief, als auch durch die Folgeresolutionen 2106 und 2467, in denen auf die Bedeutung des Vertrags über den Waffenhandel hingewiesen wird, hergestellt.

Im Rahmen des Webinars gingen die Expertinnen gemeinsam mit dem Publikum der folgenden Frage nach: Welche strukturellen Bedingungen sind aus der Perspektive der Demilitarisierung für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt notwendig?

 

3. Synthese der Inputreferate sowie der moderierten Diskussion

Annemarie Sancar unterschied in ihrem Referat mindestens zwischen drei Dimensionen, die wichtig sind, um den Zusammenhang zwischen Militarisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt zu verstehen. Dabei legte sie einen Schwerpunkt auf die Problematik eines rein nationalstaatlichen und militarisierten Sicherheitsverständnisses. Für dessen Legitimierung wird auf der ersten Ebene diskursiv-symbolisch zwischen dem «Wir» und dem «Anderen», vor dem die Nation geschützt werden muss, unterschieden. In diesem Narrativ muss der «starke Mann» dem (männlichen) Feind überlegen sein, muss ihn besiegen können, koste es, was es wolle. Dazu gehört auch die Gewalt gegen die Frauen des Feindes. Die ausgeprägte aggressive und militarisierte Männlichkeit lässt geschlechtsspezifische Gewalt stark ansteigen. Auf der zweiten Ebene widerspiegeln politische Entscheidungen, welche Wichtigkeit verschiedenen Formen der Sicherheit beigemessen wird. Im Kontext der Wiedererstarkung von nationalstaatlichen und militarisierten Sicherheitskonzepten werden vorwiegend politische Entscheidungen zugunsten erhöhter Militärbudgets und Investitionen in die Überwachungstechnologie gefällt. Gleichzeitig wird die auf den Menschenrechten basierende Sicherheit politisch in den Hintergrund gedrängt. Dies geschieht unter anderem durch Sparmassnahmen im Gesundheitswesen, bei Beratungsdiensten oder in Frauenhäusern. Die politische Ebene ist somit eng mit der dritten Ebene, der wirtschaftlichen, verknüpft. Im Neoliberalismus wird auf der wirtschaftlichen Ebene vor allem dort investiert, wo Gewinnmaximierung attraktiv ist, und dort gespart, wo die Kosten dauerhaft hoch sind, sprich, im Bereich der menschlichen Sicherheit. All diese Dimensionen – die diskursiv-symbolische, die politische und die wirtschaftliche – tragen dazu bei, wie Sicherheit konzipiert, gestärkt und bedroht werden kann, und lassen Raum, um über die verschiedenen Formen der menschlichen Sicherheit nachzudenken.

Lesley Ann Foster legte den Fokus ihres Referats auf eine historische Perspektive. Sie zeigte auf, wie das rassistische und stark militarisierte Apartheidsystem in Südafrika auch patriarchale Gewalt institutionalisierte und wie sich dies bis heute auswirkt. Zudem stellte sie Widerstandsstrategien südafrikanischer feministischer Bewegungen in den Vordergrund, die sowohl das Apartheidregime als eines der gewaltvollsten politischen Systeme überhaupt, wie auch geschlechtsspezifische Gewalt bekämpf(t)en. 1956 organisierten Frauen einen landesweiten Marsch, um gegen die rassistischen und sexistischen Passgesetze zu protestieren, die die Bewegungsfreiheit, die Arbeitsmöglichkeiten und die gesellschaftlichen Zusammenkünfte von Schwarzen Menschen stark einschränkten. Die rund 20'000 protestierenden Frauen bildeten die grösste soziale prodemokratische und antikoloniale Mobilisierung in der Zeit der Apartheid. Doch auch nach dem sogenannten Women’s March nahmen Frauen- und feministische Bewegungen eine unentbehrliche Rolle im Niedergang des Apartheidregimes sowie im Aufbau eines demokratischen Staates ein. Sie beeinflussten die Entwicklung des neuen Südafrikas unter anderem, indem sie sich für eine umfassende Rechtsreform einsetzen und dazu beitrugen, dass mehr als 5000 Gesetze in Kraft gesetzt wurden, die sicherstellen sollten, dass die nationale Gesetzgebung die Verpflichtungen der CEDAW-Konvention und der Aktionsplattform von Peking aufnimmt. Doch auch im demokratischen Südafrika blieb die Beendung von Gewalt gegen Frauen, Mädchen und queere Personen, welche im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau stagnierte, eine der zentralen Kämpfe für Feminist*innen. Die weitreichendste zivilgesellschaftliche Protestaktion war der Landesstreik Total Shutdown im Jahr 2018. Tausende Menschen trugen in verschiedenen Städten die an die Regierung gerichtete Hauptforderung geschlechtsspezifische Gewalt und Feminizide effektiv zu bekämpfen, zeitgleich auf die Strasse. Auch wenn auf politischer und gesetzlicher Ebene gewisse Erfolge erzielt werden konnten, stiegen Feminizide und Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt während der Covid-19 Pandemie auch in Südafrika dramatisch an. Nebst Pandemien stellen wirtschaftliche Ungleichheiten, Aufrüstung, die mit dem Klimawandel einhergehenden Umweltkatastrophen, technologiegestützte geschlechtsspezifische Gewalt, Menschenrechts- und Umweltverletzungen durch multinationale Konzerne sowie der erstarkende Nationalismus laut Lesley Ann Foster zukünftig grosse Bedrohungen für den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt dar.

In der moderierten Diskussion zwischen den Expert*innen und Personen aus dem Publikum, welche auf die Inputreferate folgte, wurde betont, wie tiefgreifend Nachwirkungen von kolonialen Systemen auf aktuelle Gewaltverhältnisse sind. Auch wurde angeregt, dass der neoliberale Kapitalismus und der Nationalstaat als rassistische/ethnozentrische, patriarchale, heteronormative, militarisierte Formation organisiert und strukturiert ist. Um geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden, bräuchte es daher systemische Veränderungen, die durch transnationale feministische Bewegungen, welche sich auf alternative und nicht staatszentrierte Sicherheitsverständnisse stützen, angestossen werden.

Ostermarsch

13:15 Uhr
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