Friedensfördernde Narrative stärken

Statt die Verletzung des humanitären Völkerrechtes und die Gewalt gegenüber Zivilpersonen durch die Hamas und die israelische Armee klar und konsequent zu verurteilen, wird im aktuell dominanten politischen und medialen Diskurs Israel das Recht auf militärische Selbstverteidigung pauschal zugesprochen. Diese Logik lässt ausser Acht, dass Selbstverteidigungsmassnahmen laut internationalem Recht an die Verhältnismässigkeit gebunden sind und unbeteiligte Zivilist*innen geschützt werden müssen. Am 7. Oktober 2023, töteten die Hamas über 1’200 Israel*innen und Angehörige anderer Staaten. Auch nahmen sie mehr als 200 Menschen in Geiselhaft. Die darauffolgenden israelischen Bombardierungen töteten im Gazastreifen 18'000 Palästinenser*innen. Zu Recht verurteilten viele Politiker*innen und die gängigen Medien die abscheulichen Verbrechen der Hamas in Israel umgehend aufs Schärfste. Nur sehr wenige von ihnen haben auch die israelischen Bombardierungen des Gazastreifens mit der gleichen Vehemenz verurteilt. Damit unterscheiden sie zwischen Zivilist*innen, die unrechtmässig Gewalt ausgesetzt werden, und anderen Unbeteiligten, bei denen das angeblich legitim ist. Diese Unterscheidung entmenschlicht und fusst auf der Idee, dass palästinensische Leben weniger wert seien als israelische.

Es ist dringend notwendig, von allen beteiligten Konfliktparteien unmissverständlich zu fordern, das humanitäre Kriegsrecht einzuhalten. Weil diese Forderung jedoch implizit bedeutet, den Krieg zu humanisieren, statt ihn grundsätzlich zu beenden, folgt sie einer systemerhaltenden Logik. Das reicht aus friedenspolitischer Sicht bei weitem nicht aus. Die tragischen Entwicklungen im Nahen Osten demonstrieren auf brutale Weise, dass dieser Konflikt auf politischer Ebene gelöst werden muss. Dazu müssen die Gewaltzyklen und Machtverhältnisse in Israel/Palästina historisch beleuchtet und reflektiert werden. Zugleich gilt es, langfristige friedensfördernde Perspektiven zu entwickeln und wiederzubeleben. Die wenigen Stimmen, die sich für einen Waffenstillstand und eine politische Lösung einsetzen, welche die Beendigung der israelischen Besatzungspolitik fordern oder sich für das palästinensische Selbstbestimmungsrecht aussprechen, werden unterdrückt, diffamiert und gar kriminalisiert. Ihnen wird nicht nur systematisch Relativierung von Gewalt, sondern auch pauschal Antisemitismus vorgeworfen. Auch gut etablierte humanitäre und Menschenrechtsorganisationen werden delegitimiert, und Gelder werden ihnen entzogen.

Seit dem 7. Oktober nehmen antisemitische Äusserungen sowie tätliche Angriffe zu. Diese Entwicklungen dürfen auch in der Schweiz nicht unterschätzt werden. Antisemitismus muss auf allen Ebenen vehement bekämpft werden. Eine Kritik an der israelischen Politik ist aber nicht per se antisemitisch, wie dies auch vom Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ausgeführt wird. Sie kann ohne Bezug auf jüdische Menschen und somit losgelöst von antijüdischen Vorurteilen oder Hass gegenüber jüdischen Menschen erfolgen. Kritik an der israelischen Politik grundsätzlich als antisemitisch zu bezeichnen, kann eine Strategie sein, um Kritik an der israelischen Besatzungspolitik sowie das Engagement für gleiche Rechte aller Menschen in Israel/Palästina zu unterbinden. Jegliche Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus gleichzusetzen, führt zu einer Verwässerung des Antisemitismus-Begriffes. Dies hilft dem wichtigen Engagement gegen Antisemitismus, das eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft ist, nicht. Opfer von Antisemitismus sind, wie bei anderen Diskriminierungsformen, Menschen (als Einzelpersonen und Kollektive) und nicht Staaten. Deshalb müssen Menschen und nicht Staaten vor Diskriminierung geschützt werden, wie es auch die schweizerische «Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina (jvjp)» formuliert. Dafür braucht es eine präzise Definition, die klar zwischen antijüdischer Haltung und Taten einerseits, und legitimer Kritik an der Politik des Staates Israel andererseits, unterscheidet.

In der hiesigen Debatte wird kaum erwähnt, dass auch antimuslimischer Rassismus und Hassverbrechen an Muslim*innen weiter stark ansteigen – und deswegen dringend effektiver bekämpft werden müssen. Äusserungen von antimuslimischem Rassismus sind in vielen Kreisen akzeptiert. Zudem fällt auf, dass rechte Kräfte in der Schweiz Antisemitismus vorwiegend als Problem darstellen, das von muslimischen Menschen ausgeht. Ähnlich passiert dies in Deutschland, wo 93 Prozent der antisemitischen Übergriffe rechtsextrem motiviert sind, während diskutiert wird, dass Migrant*innen den Antisemitismus importiert hätten. Hier ist die gleiche Logik zu beobachten, wie wenn geschlechtsspezifische Gewalt für rassistische Hetze instrumentalisiert wird. Wie Sexismus wird auch Antisemitismus dabei nicht als Problem (an)erkannt, das in breiten Gesellschaftsschichten und insbesondere im rechten Spektrum besteht und strukturell verankert ist. Stattdessen wird es auf den «äusseren Anderen» abgeschoben.

Die einseitige Berichterstattung über die jüngste Gewalteskalation in Nahost ist nicht zuletzt ein Resultat des anhaltenden Rechtsrutsches in der Deutschschweizer Medienlandschaft. Die politischen Deutungsmuster sind keineswegs «neutral», «unideologisch» oder «objektiv», wie dies suggeriert wird. Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hat eine kriegerische Rhetorik in öffentlichen Debatten zugenommen. Dies fördert eine militarisierte und patriarchale Haltung auf nationaler und internationaler Ebene. Es beruht auf täglich neuen Entscheidungen, in der aktuellen Situation kaum palästinensische und jüdische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die sich für Frieden engagieren, sowie solche, die sich gegen direkte, strukturelle und kulturelle Gewalt aussprechen. Dieser Ausschluss von Friedensstimmen drückt eine politische Haltung aus und widerspiegelt die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.

Gerade jetzt – wo sich diverse Krisen, Kriege und imperiale Machtausübungen häufen – brauchen wir ganzheitliche und vorausschauende Analysen, statt auf Einzelereignisse fokussierte, meist reisserische und hetzerische Kommentare. Was, aus welcher Perspektive wie erzählt wird beeinflusst unsere Wahrnehmung von Frieden und Krieg. Es kann gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung weiter vorantreiben oder zum sozialen Zusammenhalt beitragen. Damit ihr Potenzial für die Friedenskonsolidierung und Konfliktbewältigung genutzt werden kann, müssen in (sozialen) Medien, Politik und der hiesigen Zivilgesellschaft, friedenspolitischen Stimmen mehr Gewicht gegeben und den Rücken gestärkt werden.

Ansätze zu einer gewaltfreien Gesellschaft

19:00 Uhr
Gartenhof-Saal
Lisa Joanne Bissegger ist als Programmverantwortliche für feministische Friedenspolitik bei Frieda tätig und hält für den Schweizerischer Friedensrat ein Referat. Dabei widmet sie sich der Frage: Wie können wir eine gewaltfreie Gesellschaft gestalten?
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Filmscreening «BELLA – MIA» mit Kurzreferaten

17:45 Uhr
RiffRaff
Frieda organisiert als Dachkoordination der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» ebenfalls eine Veranstaltung im Rahmen der Aktion.
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Lesung und Gespräch: Miriam Suter und Natalia Widla – Niemals aus Liebe

19:30 Uhr
GLEIS
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Frieda organisiert als Dachkoordination der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» ebenfalls eine Veranstaltung im Rahmen der Aktion.
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«Wege aus der Gewalt» – drei Perspektiven von Jessica Jurassica, Mia Nägeli und Ariana Qizmolli

16:00 Uhr
Salzhaus
Die Veranstaltung steht im Zeichen «Wege aus der Gewalt» und beleuchtet das Fokusthema der diesjährigen Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» aus drei Perspektiven mit Wort und Tanz mit Jessica Jurassica, Mia Nägeli und Ariana Qizmolli.
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